Eine Türkin Findet Jesus (tuğba)

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    klaus
    Anahtar yönetici

    Eine Türkin findet Jesus (Tuğba)

    Tja, wo soll ich beginnen? Ich kann mein Leben nicht in ein Zitat stecken. Nun werden vielleicht einige enttäuscht sein von dem, was jetzt folgt: Ich bin nicht als Muslimin Christ geworden, auch wenn meine Familie muslimisch und sehr religiös ist. Ich gehöre auch nicht zu den von ihrer Familie verfolgten und bedrängten emanzipierten jungen Türkinnen…

    Kurz bevor ich geboren wurde, trennten sich meine Eltern (Vater hat während Mutters Schwangerschaft mit mir Gefallen an einem polnischen Mädchen gefunden). Mit meinem Bruder und mir zog meine Mutter hinunter nach Stuttgart, wo ihre Herren Eltern residierten. Mit ihnen und weiteren Familiengliedern lebten sie mit zwanzig Leuten in einer Fünf-Zimmer-Wohnung (ich glaub, der Rekord war 30). Großeltern meinten, es reicht langsam und Mama sollte sich nach einem neuen Mann umschauen, aber bitte einen anständigen, der am Wochenende zuhause ist. Mama fand ihn auch, ein reiner Glückstreffer, sehr wohlständig, besaß ein eigenes Flugbüro, sehr religiös; brachte aus seiner letzten Ehe zwei Töchter mit. Sein einziger Makel: Er wollte meinen Bruder und mich nicht haben, da es einem Muslim nicht ansteht, Kinder aufzuziehen, die nicht seine eigenen sind.

    Nach einigem Hin und Her, wo es wohl viele Tränen auf der Seite meiner Mutter gegeben haben mag, entschieden sich doch alle (der Familienrat hatte getagt), das Geschwisterpaar zu ihrem verdammten Vater, Allah habe Erbarmen mit ihnen, zu schicken, was vor allem auch daran lag, dass mein Bruder so bettelte, unseren Vater kennenlernen zu dürfen. Ich wusste nichts davon, ich wusste nicht mal, dass unser Vater woanders wohnt, ich habe bis dahin meinen Großvater für meinen Daddy gehalten(manchmal darüber verwundert, warum er sich ein Bett mit Großmutter teilte). Eines Nachts wachte ich auf und fand mich in einem Auto wieder. Mein Bruder saß neben mir, hellwach, und flüsterte aufgeregt: “Wir fahren zu unserem Vater!”

    Opa übergab uns nach stundenlanger Fahrt einer Putzfrau in einem schäbigen Hochhaus in dem schönen Viertel Kreuzberg und knurrte ihr noch zu: “Wenn er die Kinder nicht will, soll er sie zu uns schicken; wehe, er behandelt sie schlecht.”

    Ja, mein Vater! Lachend und tanzend kommt er uns entgegen, meine Kinder, meine Kinder … ich starrte ihn an, wer war dieser Fremde mit dem Schnurrbart und dieser lustigen Stimme …? Er wollte uns knuddeln und mein Bruder flüchtete sich in seine Arme, ganz selig vor Wonne, ich aber weigerte mich, ekelte mich davor, von dem Fremden berührt zu werden.

    Naja, es renkte sich alles ein. Mein Vater war kein Idiot, sondern ganz okay und tatsächlich so lustig wie seine Stimme, doch wie üblich: Er war verheiratet, hatte eine Frau, die uns hasste, hatte Kinder, die uns das Leben zur Hölle machten, jedesmal kriegten wir Ärger, wenn sie was anstellten; Papa und Stiefmutter stritten sich um Geld, unschön, wir Kinder wurden geschlagen, schön, eins nach dem anderen, ich kam zum Arzt, bekam Drohungen, mit einer heißen glühenden Kelle versohlt zu werden. Immer öfter besuchten wir das Tagheim, mein Bruder besuchte noch öfters meine Eltern, während ich mich rigoros weigerte…

    Bis eines Tages mein Vater nicht mehr kam, ab da an blieben wir im Tagheim, genossen die neue Freiheit, spielten mit tausenden von Kindern, wie es uns schien. Mein Bruder neigte zum Prügeln, er war stark, größer als die meisten in seinem Alter; auch neigte er zur Depression, wie es ein Sozialarbeiter mal nannte, aber ich nenne es mal “ein trauriges Kind”. Ich neigte zu Fieber und Krankheit, ich neigte dazu, mich hin und wieder als Anführerin meiner kleinen Clique aufzuspielen, aber ich muss wohl doch so verbohrt oft und einsam gewesen sein, dass ich mich zurückzog; schnappte mir Bücher, brachte mir Lesen, Schreiben und Rechnen mit fünf selber bei.

    Irgendwann sagte auch das Tagheim: Schluss, wir haben unsere Berufung verfehlt, was soll das, wir sind eine Tagesstätte und kein Bleib für die Ewigkeit. Also hieß es eines schönen Tages, einige Monate, nachdem ich sechs geworden bin “Tschüß Kinder, machts gut und vergesst uns nicht.” Ich nickte und wusste, ich würde sie vergessen, genauso wie ich meine Mutter und später meinen Vater vergessen hatte.

    Einige hundert Kilometer weiter westlich, ein mehr oder weniger idyllisches, äußerst hässliches Städtchen kurz vor Hannover, war unsere neue Bleibe: Die Hälfte eines Doppelhauses, mit Marmortreppe. Zwei Jungens kamen uns entgegen, mit einem Luftballon mit Gas gefüllt. “Hi!”, riefen sie. Skeptische Blicke aus türkischen Berlinerblicken. Unser erstes Kinderheim.

    Naja, alles in allem war es ganz okay, die Stätte meiner ersten Kindheit. Wir kamen in die Schule, mein Bruder ging einen Schritt weiter die Karriereleiter hoch, prügelte sich nur noch, wurde traurig und zornig, ich wurde besserwisserisch, altklug, meine einzige Waffe gegen ein Haus voller Jungs, und weil ich das einzige Mädchen war, wurde ich des öfteren missbraucht, nachts, wenn alle schliefen.

    Schule war toll, aber ehrlich gesagt, ich hätte die erste und zweite Klasse überspringen können, weil ich eh schon alles wusste; ich schlief meistens im Unterricht, nein, ich träumte, starrte nach draußen und die Lehrerin rügte mich, obwohl sie nicht recht wusste, ob sie einen triftigen Grund dafür hatte, da ich ja eh alles wusste. Mein einziger Fehler war meine außergewöhnliche Schlampigkeit; meine Lehrerin versprach der ganzen Klasse, wenn ich mal alle meine Sachen, also Lineal, Zirkel, Stifte, Schulhefte, etv. dabeihaben würde, würden wir ein Fest feiern, aber nie, nicht in vier Jahren Grundschule, hatte ich alles dabei…

    Meine erste beste Freundin war Anna und ihre Eltern waren Zeugen Jehova und ich durfte mir von Anna anhören, was man machen und nicht machen durfte und ich saugte diese Erziehungsmaßnahmen wie ein durstiges Baby in mich hinein, weil ich sonst niemanden hatte, der mir das sagte, man darf niemanden hassen, man darf ihn nur “nicht mögen”. Ja, Anna, okay Anna; ich habe sie gehasst und geliebt, sie war wie eine strenge Pädagogin zu mir, ich glaub, sie genoss es, dass ich so an ihr hang und sie hang an mir, wir hatten selten unterschiedliche Meinungen, weil sie immer “Ich auch” sagte, wenn ich meinte, über etwas so und so zu denken. Ihren Bruder beeindruckte ich mit meiner Besserwisserei, ich beeindruckte alle mit meiner Besserwisserei und alle hielten mich für ein sonderbares, kleines Mädchen, das sich die Haare wie ein Junge schnitt und ein Buch nur aus der Hand legte, wenn sie schlief (beim Essen nur notdürftigerweise, wenn es mir nicht gestattet war). Naja, die Kindheit, ein Elysium aus Erinnerung und Wonne, wir spielten auf Baustellen und erträumten uns unsere eigene mystische Welt mit Göttern und Fabelwesen, manchmal spielten wir “Rex”; wir waren Ninjas, Power Rangers (ich die gelbe), Streetfighter (Chang Lee), wir sangen laut “Weil ich ein Mädchen bin” und “Schrei nach Liebe” von den Ärzten, weil unsere Betreuer das lustig fanden, sie brachten uns schöne Musik von Rammstein mit, Kindheit, wo bist du?

    Irgendwann begann mich meine Mutter zu besuchen, wer war diese Frau; diese seltsamen Mäntel und die Kopftücher, der Anblick war erstickend, ich fühlte mich unwohl, mein Bruder kuschelte wieder mit ihr, war selig, ich konnte nicht, war unfähig, wollte nicht angefasst werden, rühr mich nicht an, dachte ich, und fühlte mich beklemmt. Ich konnte mich an sie erinnern, an ihren zürnenden Blick, wenn wir zu laut gewesen sind und einmal hatte ich geträumt, dass sie uns verlassen würde und ich schrie: Mama, verlass mich nicht! Und als ich aufwachte, merkte ich, dass ich weinte und meine Mutter saß neben mir und ich erzählte ihr alles, und sie versprach, mich niemals zu verlassen. Das war, als ich vier war, jetzt war ich acht, starrte sie an, sie brachte Geschenke mit, lud uns ein, wir lernten einen Haufen kleiner Menschen kennen und alle Frauen trugen Kopftücher und alle weinten vor Freude, als sie uns sahen und Allah wurde gepreist und Süßigkeiten über Süßigkeiten wurden uns zugeschoben und wir wurden verwöhnt und wir bekamen alles, was wir wollten; ich erstickte, mein Bruder ging darin auf, sonnte sich in ihrer Liebe. Nach einigen Jahren kannten wir uns alle so gut, dass meine Mutter dem Jugendamt vorschlug, uns näher zu sich und unseren Großeltern ziehen zu lassen, weil die Besuche für sie zu teuer waren; und es gab eine Sitzung mit Jugendamt, meiner Mutter, einigen Tanten, meinem Bruder und mir und wir wurden gefragt, wollt ihr nach Stuttgart und mein Bruder sagte ja, und ich dachte an meine Freunde und ich sagte ja, weil meine Mutter dabeisaß und traurig geworden wäre, wenn ich nein gesagt hätte.

    So zogen wir nach Stuttgart in ein anderes Heim mit noch mehr Kindern, hier gab es aber zu meiner Erleichterung Jungs. Eine enge Freundschaft verband mich gleich in der ersten Woche mit einem sehr flippigen Mädchen, das sehr hübsch war und nie still sitzen konnte. In meiner Klasse war es nett, obwohl der Lehrer täglich an mir und meinem Bruder (der sitzengeblieben ist) verzweifelte. Entweder hatten wir beide die Hausaufgaben nicht oder nur ich hatte sie, und wenn wir sie beide hatten, dann konnte er sicher sein, dass ich die meines Bruders gemacht hatte. Mein Bruder war noch viel fauler als ich und viel depressiver (dieses erwachsene Wort!) und ich erledigte seine Aufgaben, während er im Gegenzug mein ewiges Chaos jede Woche einzäumte.

    Tja, dann folgte ein halbes Jahr eine sehr schöne, typische Kindheit, wo ich ganz locker meine offensichtliche Klugheit ausspielen konnte und wo alle über mich lächelten, weil ich versuchte, die Schönheit meiner Freundin dadurch auszuschlagen, dass ich so klug war und auf alles eine Antwort wusste, und wenn ich die Antwort nicht wusste, fragte ich so lange und sokratesähnlich, dass bald alle aufstöhnten, wenn sie mich hörten. Ich kam schnell über mein altes Heim hinweg, so wie es nur Kinder können und lebte vor mich hin und war schusselig und faul wie eh und je. Dann begann ein etwa ein Jahr haltendes Drama im Theather meiner Kindheit; ein neuer Junge kam und meine Freundin verliebte sich in ihn, und mein Bruder befreundete sich mit ihm, aber nie zur selben Zeit; wenn meine Freundin mit ihm zusammen war, hatten er und mein Bruder Streit und wenn die zwei Jungs sich wieder versöhnten, waren Jenny und Nino auseinander. Das war aber okay, auch wenns hart war. Die Schwester von Nino hieß Natascha und musste ständig abhauen und weil sie uns mitzog, hauten wir auch ständig ab und begannen Schule zu schwänzen, so intensiv, das Jenny in die Jugendpsychatrie musste, weil sie immer nur noch abhauen wollte, Natascha wurde in ein spezielles Heim gesteckt für schwer erziehbare Jugendliche mit Tieren und ich blieb zurück, während mein Bruder zu meinen Großeltern gezogen war (was auch ein großes Drama mit sich brachte, denn ich hatte mich geweigert, hinzuziehen, weil ich die türkische Kultur ablehnte, und hielt es kaum durch, weil meine ganze Familie gegen mich war, was für eine Elfjährige sehr schwer war); und dann kam auch das zweite Alptraumpaar ins Heim, Sabrina und Michael Z., (später erfuhr ich ihre grausige Kindheitsgeschichte, was mich die Zeit vergessen ließ) und ab da an wurde es hart, die zwei brachten das ganze Heim gegen mich auf, einfach weil ich mich Michael, der etwas älter war als ich, nicht unterwarf und weil ich nicht heulte, wenn er mich schlug (als Schwester eines Jungen, der sich als Zweitklässler mit Fünftklässlern geschlagen hat, war das nichts Neues).
    Es ging Jahre so; Michael erschuf neueste Lügen, um alle gegen mich aufzuhetzen und ich verschwand, verschwand in der endlosen Stille meines Zimmers, versunken in Büchern über fantastische Welten und in Büchern, in denen Ratten Menschen von innen auffressen und detailgenau erklärt wird, was mit einer Gehirnhälfte passiert, wenn einem mit einer Pistole in den Kopf geschossen wird.
    Ich wurde fertig gemacht, ausgelacht, durch den Dreck gezogen und ich war still, ich verabscheute Gewalt, aber nach und nach begann ich mich verbal zu wehren, womit ich schon einmal meinen Bruder, als er besonders derb zu mir war, zum Heulen gebracht hatte; und auch Michael wurde still, hetzte nur noch hinter meinem Rücken auf, die Betreuer amüsierten sich darüber, wie ich ihn mit kluggestellten Fragen ein Bein stellte.

    Naja, ich muss nicht erwähnen, dass es in der Schule ähnlich ablief; ich war Ausländerin in einer beinah reindeutschen Klasse, ich war seltsam, ich wohnte im Heim, war unordentlich, oft ungepflegt, sehr leise, sehr unhöflich, weil ich niemanden grüßte. Ich erstaunte nur ein paar Male mit einem guten Deutschaufsatz, aber das wars auch, mehr tat ich mich nicht hervor. Hier lernte ich Rose kennen, eine Christin, ich mochte sie nicht, weil sie wie Anna ein wenig zur Herrschsucht neigte, zur Selbstsucht und sich ganz und gar nicht wie eine Christin benahm; ehrlich gesagt, hasste ich sie, doch aus Gründen der Sitzverteilung ein halbes Jahr später landete ich neben ihr, weil sie sich zufällig mit ihrer besten Freundin zerstritten hatte und diese nun woanders sitzen wollte (neben meiner damaligen Freundin).
    Roses Freundin hieß Anette und war auch Christin und ich fand sie auch unchristlich, weil das erste, was sie sagte, nicht “Hallo” war, sondern “Rauchst du? Du hast so gelbe Zähne…”, weil sie mich all die Jahre feindselig betrachtete, weil sie, als unser Klassenlehrer der Fünften im nächsten Jahr starb und ich total betreten meinte: “Ist das nicht krass?”, da sagte sie: “Willst du jetzt um ihn trauern?” Ganz kalt, ganz zynisch und ich erfror innerlich vor soviel Herzenskälte, ihr schien ja alles egal zu sein, was ist das für eine Welt; ich wusste nur, dass Christen gut sein müssten, ich dachte an Anna, die eine ZJ war und die vor dem Essen immer ihre Hände faltete und mir sagte, man dürfe nicht hassen.

    Bis zur siebten wurde ich in der Schule regelrecht fertig gemacht, hatte keine Freunde, außer Rose, die sich so gebärte, als sei ich ein übles Anhängsel; mich mitschleppte nach Hause, mir ihre tragische Lebensgeschichte erzählte: sie ist ohne Mutter aufgewachsen, mich gerne beleidigte; ich war ganz schockiert und verletzt und fragte mich, ob Freundinnen so was täten und ob es eine höhere Gewalt gab, die sie dafür bestrafen würde. Ganz gegensätzlich zu ihrem Benehmen erzählte mir Rose dann vom lieben Gott und ich dachte, bei dir piepts wohl, lass mich mit dem Idioten in Ruhe, der dich frei herumlaufen lässt. Wenn du eine Christin sein sollst, ist diese Welt schlimm, ganz schlimm, und Gott ist der schlimmste, und es gäbe keine Hoffnung mehr. Ich dachte, wenn ich Christ wäre, würde ich es dir zeigen, ich wäre gut und fromm und Gott würde mir die Stärke geben, jeden Tag zu überstehen, selbst mit jemanden wie dir oder Michael.

    In der siebten Klasse zeigte sich ein Lichtblick: meine erste richtige Freundin. Sie kam neu in die Klasse und hieß Annette (mit zwei n). Sie musste sich neben mich setzen, und ich sagte keinen Mucks und war ganz und gar ignorant, weil ich wusste, sie würde sich eh wieder wegsetzen, weil ich wusste, die anderen würden ihr Sachen von mir zu erzählen haben! Die anderen erzählten ihr Sachen und sie setzte sich weg, aber bald setzte sie sich wieder hin und dann wurde es lustig; sie hatte nämlich einen hinreißenden Humor und einen scharfen Verstand, und sie war freundlich und behandelte mich wie eine, die auf gleicher Höhe mit ihr steht, obwohl ich es nun gewohnt war, dass man mich beleidigt und auch nichts dagegen gesagt hätte, sie war nämlich keine Christin und ich durfte aufatmen, denn von nun an ging es mir besser, Schritt für Schritt, ich bemerkte, dass ich nicht minderwertig war, was eine reine Erleichterung war und es wurde immer lustiger, und die Lehrer ärgerten sich, weil wir so laut waren, wo sie sich früher geärgert hatten, weil ich nie etwas gesagt habe. Und wo ich früher nie bemerken wollte, dass Rose mich schlecht behandelte, stieß Annette mich mit dem Finger drauf und ich war ganz beschämt vor ihr, weil ich mich nie richtig gewehrt habe gegen die christliche Tyrannei.
    Ich fragte mich auch, warum Christen so sein müssten; aber hin und wieder nahm mich Rose mit in ihre Gemeinde und da waren ganz höfliche, ganz liebe Menschen, die ständig “Jesus” riefen und ich dachte, okay, ein bisschen plemplem, aber nett, so wie man sich Christen vorstellt, naiv und an das Gute und Gott glaubend, aber ich fand die Versammlungen langweilig und Gott was für naive Menschen, die in einer heilen Welt aufgewachsen waren und machte mich mit Annette gerne lustig über die Christen.

    Doch wie es so sein musste bei einer guten Freundschaft, trennten sich unsere Wege: Annette musste umziehen, und ich dachte nur, ich verprügel ihre Eltern, aber bis da wusste ich auch nicht, was Er mit mir vorhatte.

    Kurz nach dem Ende der achten Klasse lud mich Rose ein, mit zu einer christlichen Freizeit zu kommen, und weil ich nicht mehr glaubte, minderwertig genug zu sein, um nicht unter Menschen sein zu dürfen, sagte ich ja, und ein Tag vor der Freizeit war ich in einer (das erwachsene Wort!) Depression und sehnte mich nach einem Halt, einem Sinn, ich war 14 und sehnte mich nach dem Tod, ich wollte nicht mehr; nun ging meine beste Freundin; und auf dieser Freizeit würden sie alle wieder von Gott reden, diese Glücklichen, sie hatten Familie und Glaube und Liebe, soviele Äste, die sie hielten und ich hielt mich an einem Ast, den ich Leere Hoffnung nannte, und ich schwor mir, mich auf dieser Freizeit nicht bekehren zu lassen, weil ich dann Rose hätte Recht geben müssen, dass es Jesus gab, und ich würde Rose nie Recht geben, davor müsste ich verfaulen.

    Auf dieser Freizeit war es merkwürdig: Die Leute waren so nett! Nicht nur die Erwachsenen, weil die so gut lügen konnten, auch die Kinder bzw. Jugendliche, ich dachte, ich spinn, nette Christen? Wieso lächeln sie, wenn sie mich sehen? Ich war misstrauisch, glaubte, ich sehe nicht recht. Ich dachte, sie wollen mich austricksen, mich erst einlullen in ihre Nettheit und dann beleidigen, igitt die Tuba, igitt Heimkind, igittigitt! Aber das passierte nicht, wie sehr ich es auch erwartet hatte.

    Auch die Versammlungen waren gut. Es gibt einen breiten, gemütlichen Weg, der zur Hölle führt und einen ganz schmalen Weg, den wenige gehen und der zu Gott führt und ich dachte, toll, ich gehe gerne den schmalen Weg, ich gehe überhaupt gerne Wege, die nur selten betreten werden; wie, Gott ist für mich gestorben? Verstehe ich nicht ganz, aber vielleicht später. Müsste Jesus nicht unsterblich sein wie Herkules? Und was ist das mit Satan, dass der mal Luzifer hieß und der höchste Engel war, interessant!
    Auch gab es dann eine gewisse Mädchenrunde, in denen wir Mädchen ermahnt wurden, uns nicht an die Jungs ranzuschmeißen, sondern “Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, bei den Gazellen und den Hinden auf dem Felde, dass ihr die Liebe nicht weckt und nicht stört, bis es ihr selber gefällt”. Ich saugte diese neue Moral in mich auf, auf die ich nur gewartet hatte, denn niemand erzog mich und ich spürte, dass diese neue “Ethik” richtig war, ich spürte, dass ich nur auf sie gewartet hatte, jedesmal, wenn ich im Heim all die Mädchen sah, die sich verschwendeten für eine Woche Seligsein und dann zehn Wochen Liebeskummer.

    Ich wollte Jesus aufnehmen und tat es auch, im Stillen, aber ich wusste nicht, ob das richtig war, also sagte ich nur: Lass mich dich nach dieser Freizeit nicht vergessen! Ich hätte es aber wohl doch getan. Der letzte Tag trat an. Mir wurde das Herz schwer. Ich wollte diese netten Menschen nicht verlassen. Kurz bevor alle abgeholt wurden, kam eine Betreuerin zu mir. “Tuba, du hattest doch noch einige Fragen wegen Satan, nicht wahr? Komm, der Wolfgang hat gerade Zeit.” Ich folgte ihr etwas widerwillig, weil ich die letzte Zeit noch mit den anderen verbringen wollte, doch ich war zu höflich, um nein zu sagen, schließlich hatte er sich extra Zeit für mich genommen.
    Ich betrat den Raum, setzte mich zu Wolfgang und Britta. Wolfgang erzählte, wie die Erde entstand, erzählte von Luzifers Fall und ich nickte und war in Gedanken doch bei den anderen. Dann plötzlich fragte er mich: “Sollen wir gemeinsam beten?” Ich starrte ihn an, ich starrte Britta an, ich hatte die Fassung verloren, was sollte ich in so einer Situation tun? Jesus aufnehmen? Das bedeutete, Rose Recht zu geben, schrie es in mir. Andererseits mochte ich den Gedanken, Jesus zu gehören, auch wenn ich noch nicht alles verstanden hatte, was ihn angeht, auch wenn ich ihn kaum kannte, aber ich kannte jetzt die Menschen, die Christen waren und sie gefielen mir, sie waren anders als alle, die ich bisher getroffen hatte und deshalb sagte ich ja und sprach nach, was Wolfgang mir sagte, weil ich nicht selber wusste, was ich sagen sollte, und ich zitterte und fühlte mich elend und gut zugleich, ich fühlte mich schrecklich entblößt und mein Stolz war dahin, und ich stand wortlos auf und ging raus und alles war seltsam und gut zugleich und ich lief durch die Hallen und keiner wusste es, und doch schien ich zu schweben, der Rest des Tages verging wie ein Traum – – –

    Naja, und dann wurde ich Christ. Von meiner Umwelt erfuhr ich, wie sehr ich mich geändert hatte. Ich muss sagen: das Leben ist nicht leichter geworden durch Jesus. Und ich bin auch nicht der superfromme Christ und ich bitte Gott mich zu bewahren vor den sogenannten “Heiligen”. Doch seine Stärke war mit mir in den letzten Jahren und seine Liebe ersetzt mir nicht nur die Eltern, sondern baute mich auch auf, zu einer Person, die nicht mehr so leicht aufgibt, er half mir durch durch ein ganzes Jahr, in dem ich Männer hasste und fürchtete aufgrund Erfahrungen in Kindheit und Jugend, er half mir durch, als mein Bruder versuchte, sich umzubringen und seitdem total am Boden liegt und sich nicht aufraffen will. Gott erhörte Gebete und schuf Wunder, entriss mich der Finsternis meiner Gedanken, verführte mich immer wieder zu sich in meiner menschlichen Dummheit, mit Seilen der Liebe zog er mich zu sich. Ich bin immer noch der unvollkommene Mensch, doch unfasslich ist, dass er sich immer noch mit mir abgibt, mich nicht aufgibt, mich mit Menschen zusammengebracht hat, die mir helfen und Gutes wollen. Ich bin mit ihm einen Bund des Lebens eingegangen, damals mit zarten 14 und ich hoffe, er möge ein Leben lang halten, damit ich ihn weiterhin kennenlerne, in all seinem Sein möchte ich ihn erfassen, das ergreifen, wozu ich von ihm ganz ergriffen worden bin.

    Amen.


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